In den letzten Jahren ist die Beliebtheit von Finanz-YouTubern exponentiell gestiegen, und viele von ihnen haben eine treue Fangemeinde aufgebaut. Einige dieser Finfluencer haben jedoch in letzter Zeit einen Trend aufgegriffen, der Besorgnis hervorruft: Sie setzen auf Angst und Panik, um ihre Zuschauer zu erreichen und zu halten.
In diesem Interview mit dem erfolgreichen YouTuber „Aktienrebell“ (Jannes Lorenzen) diskutieren wir, warum immer mehr Finanz-YouTuber auf diese Strategie setzen und welche Auswirkungen dies auf die Finanzbildung und das Verhalten von Anlegern haben könnte.
AktienNews24: Immer mehr YouTuber produzieren Videos, die auf Angst und Panikmache setzen. Seit wann kann man diese Entwicklung beobachten?
Jannes Lorenzen: Etwa seit zwei Jahren scheint es zuzunehmen und aktuell den vorläufigen Höhepunkt zu erreichen, sowohl was die Anzahl der Kanäle als auch die Reichweite solcher Themen angeht.
AktienNews24: Was ist das Gefährliche an dieser Entwicklung?
Jannes Lorenzen: Panik und Angst ist immer ein schlechter Berater, erst recht an der Börse. Es suggeriert einen rationalen Durchblick, der oft aber viel irrationaler ist, als wir selbst glauben mögen. Er führt womöglich auch zu Market Timing, das wohl bei den meisten schief gehen wird.
Wieder bei anderen führt es dazu, dass gar nicht erst in Aktien investiert wird, da das Risiko ja viel zu groß sei angesichts der ständigen Crashvideos. Ein gesundes Risikobewusstsein ist wichtig, wenn es in Angst und Panik abdriftet ist es aber problematisch. Gerade für Anfänger ist das schwer zu trennen.
AktienNews24: Was sind aus deiner Sicht die Hauptgründe dafür, dass Finanz-Youtuber auf Panikmache und Angst als Trigger setzen?
Jannes Lorenzen: Nachweislich haben sich die Klicks und Reichweiten der Kanäle massiv gesteigert, teilweise vervielfacht, sobald sie ihre Kanäle umgestellt haben. Es gibt nach wie vor genug Partner, mit denen sie zusammenarbeiten können und auch die Monetarisierung von YouTube scheint kaum schlechter zu werden, obwohl man auch das erwarten könnte. Ich glaube aber, dass bei vielen nicht nur die finanzielle Motivation der Grund ist, sondern auch eine gewisse Überzeugung. Es ist aber schon sehr erstaunlich, wie sich Themen und Methodik der Kanäle ähneln.
AktienNews24: Was ist das Geschäftsmodell der YouTuber, die auf diese Inhalte setzen?
Jannes Lorenzen: Einige nutzen die YouTube-Monetarisierung, nahezu alle aber weitere Affiliate-Links, bspw. für Depoteröffnungen. Einige haben ihren eigenen Fonds (meist zur Vermögenssicherung) oder arbeiten zumindest eng mit diesem, andere verkaufen selbst Edelmetalle (die sie natürlich als Lösung für jedes Szenario anpreisen).
Sie verkaufen Bücher, sehen Bitcoin als Lösung in einem angeblich zurzeit totalitären System und platzieren entsprechend ziemlich gut vergütende Krypto-Handelsplattformen. Es gibt also viele unterschiedliche Monetarisierungswege, einige werden genau durch die Inhalte erst befeuert und beworben.
AktienNews24: In deinem Video PANIK: Das profitabelste Geschäft der Finanzindustrie führst du YouTube-Kanäle wie Kettner Edelmetalle, Aktien mit Kopf, Olli investiert und Vermietertagebuch als Beispiele an. Alle Kanäle haben sich seit der Umstellung auf Crash-Content positiv entwickelt. Gibt ihnen der Erfolg nicht recht?
Jannes Lorenzen: Die Frage ist, was die zu optimierende Metrik ist. Ja, sie erreichen damit viele Menschen. Spricht das in meinen Augen für die Qualität? Nein. Spricht das allein dafür, dass die Menschen dadurch besser anlegen? Nein. Die Relevanz kann und sollte man ihnen nicht absprechen, auch den eigenen finanziellen Erfolg nicht. Zu diskutieren und kritisieren ist aber der Mehrwert für die Zuschauer und Anleger.
Auch sehe ich bei einigen, die drei Mal täglich im Grunde nur Online-Beiträge von anderen vorlesen oder zitieren, kurz die Meinung dazu sagen, das ungeschnitten hochladen und dazu eine reißerische Kombination aus Titel und Thumbnail wählen. Das ist nicht mein Verständnis einer differenzierten oder journalistischen Aufarbeitung. Allgemein würde ich mir mehr Qualität und weniger Quantität wünschen, da wir alle ohnehin schon digital mit Inhalten überflutet werden.
AktienNews24: Es ist ebenfalls zu beobachten, dass einige Finanz-YouTuber vermehrt auch politische Themen mit verschwörungsideologischem Ansatz in ihre Videos aufnehmen. Wie passt das zusammen?
Jannes Lorenzen: Inhaltlich gehört es in meinen Augen nicht zusammen, auch wenn es hier verschwimmt. Den Nachweis, dass solche politischen Inhalte mir als Anleger einen Mehrwert bringen, habe ich noch nicht gesehen. Die logische Brücke der Kanäle ist meist zu sagen, man müsse ja wissen, was in der Welt passiert, weil man nur dann richtig entscheiden kann.
Das setzt einerseits voraus, dass man glaubt, selbst den ultimativen Durchblick zu haben und dass diese Kanäle ein differenziertes, objektives Bild darstellen, andererseits muss man glauben, damit auch bei der Geldanlage überdurchschnittlich gute Entscheidungen treffen zu können. An beides glaube ich nicht.
Schon gar nicht glaube ich, dass es ein effizienter Einsatz der eigenen Zeit und der eigenen mentalen Gesundheit ist, sich jeden Tag die neuesten, noch weiter dramatisierten Schreckensmeldungen anzuschauen – egal, von wem oder welcher politischen Ecke sie kommen.
AktienNews24: Müsste der YouTube-Algorithmus Videos von Crash-Propheten in der Sichtbarkeit einschränken?
Jannes Lorenzen: Soweit würde ich nicht gehen. Ich bin im Zweifel für eine Meinungsfreiheit und das gilt auch für Ansichten, die ich nicht teile, solange sie nicht zu radikal oder gefährdend sind. Ich sehe zwar auch die beschriebenen Risiken für die Geldanlage der Zuschauer, aber glaube nicht, dass es YouTubes Aufgabe sein sollte, das zu beurteilen und entsprechend den Algorithmus anzupassen.
Schöner fände ich, wenn YouTube aktiv Videos mit gegenteiliger Meinung empfiehlt, insofern das algorithmisch möglich ist. So eine sachliche Aufklärung von anderen YouTube-Kanälen, also die Mechanismen hinter den Videos zu benennen, kann in meinen Augen ein wichtiger Teil des Austausches sein.
Auch Gegenmeinungen könnten in den Kommentaren eher gefördert werden, bspw. kritische Kommentare werden oft einfach gelöscht, was der Transparenz nicht hilft. Solche Maßnahmen sind aber nicht einfach, weshalb ich am meisten auf Aufklärung setzen würde.
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